Xing, LinkedIn und Co. sind keine Datingplattformen – warum ich lernen musste, Grenzen zu setzen17/7/2020
Als ich diesen Text schrieb, hatte ich kurz zuvor einen neue Kontaktanfrage bei Xing bekommen. An und für sich eine nette Sache: Neue Leute kennenzulernen und sich über gemeinsame Interessen auszutauschen, oder auch mal zu diskutieren, kann erfrischend sein und echten Mehrwert bieten.
Wenn mich jemand über die Business-Plattformen Xing oder LinkedIn anschreibt, ist der Fokus der kommenden Chats, Gespräche und einer eventuell stattfindenden Zusammenarbeit eigentlich klar. Dasselbe gilt, wenn sich neue Kontakte bei Facebook finden, die sich in Gruppen mit beruflichem Kontext oder über meine Business-Seite ergeben.
Dass sich aus dem ein oder anderen Kontakt auch mal eine Freundschaft entwickeln kann, steht völlig außer Frage. Denn das ist ja das Schöne an Social Media: Kontakte knüpfen, völlig unabhängig vom Aufenthaltsort.
Allerdings frage ich mich tatsächlich, wann es üblich geworden ist, Kontaktaufnahmen im Business-Kontext als Dating-Möglichkeit zu missbrauchen? Das kostet unnötig (Arbeits-)Zeit, raubt Energie und ist – um es mal ganz direkt zu sagen – schlichtweg unprofessionell. Social Media und Belästigung im beruflichen Kontext
Was mich dazu bewegt hat, diesen Text zu verfassen, ist die Überlegung, wie man mit solchen Situationen am besten umgeht. Denn ich rede ich nicht von einer netten Kontaktaufnahme, weil man das Gegenüber so sympathisch findet und ihn oder sie näher kennenlernen möchte. Mir geht es ganz klar darum, dass ich schon einiges erlebt habe, was aggressives Auftreten betrifft und mich das Thema Belästigung im Digitalen daher schon einige Zeit umtreibt.
Immer wieder bekomme ich ziemlich platte Anfragen*. Mal direkt, mal subtil zeigt sich, dass jemand ganz offenbar das dringende Bedürfnis hat, jemanden fürs Bett zu finden. Den Begriff „Partnersuche“ lasse ich an dieser Stelle bewusst außen vor, da diese bei den meisten Anfragen ganz sicherlich nicht die Zielsetzung ist. Dass das ohnehin bei Business-Kontaktanfragen völlig fehl am Platz ist, wäre nochmal einen eigenen Beitrag wert. Bei mir persönlich hat sich eine Entwicklung eingestellt. Da ich in den vergangenen Jahren immer mal wieder die Bekanntschaft – also mehr oder weniger, wie ihr gleich noch erfahren werdet – sehr aufdringlicher Personen gemacht habe, habe ich für mich beschlossen, dieses Phänomen öffentlich zu kommunizieren. Ich denke, so macht man sich weniger angreifbar und hoffe, dass sich die ein oder andere Person, die diesen Beitrag liest, ermuntert fühlt, selbstbewusst mit ähnlichen Konfrontationen umzugehen. Meine Erfahrungswerte: ein Nein – oder mehrere werden nicht akzeptiert
Die Art und Weise, wie kommuniziert wird, ist zwar von Einzelfall zu Einzelfall unterschiedlich. Einige Muster ziehen sich jedoch durch. Ganz vorne dabei: Die sehr schnelle Frage nach Details zum Beziehungsstatus. Ein weiterer Aspekt, den ich immer wieder beobachten musste: Ein Nein wird in der Regel nicht als solches verstanden und/oder akzeptiert. Egal, wie deutlich man hier wird.
Hier einige Beispiele, die ich in den vergangen Jahren erlebt habe: Beispiel 1:
Als ich mich gerade erst selbstständig gemacht hatte, war ich eifrig in diversen Gruppen in den Social Media unterwegs, um neue Geschäftskontakte und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Ein Gruppenadministrator hat sich freundlicherweise meiner angenommen, so dachte ich zumindest zunächst.
Er hatte mir Tipps für meinen Berufseinstieg geben wollen. Also haben wir über einige Tage hinweg immer mal wieder zu verschiedenen Themen gechattet. Nach kürzester Zeit kippte aber die Stimmung: Er stellte mir immer persönlichere Fragen, vorrangig zu meinem Beziehungsstatus und familiären Verhältnissen. Obwohl ich diese Fragen abgeblockt habe, wurde er zunehmend penetranter. Er schickte mir zu allen erdenklichen Tag- und Nachtzeiten unzählige Nachrichten, drang immer wieder auf persönliche Informationen und auf ein persönliches Treffen, wollte wissen, warum ich nicht sofort auf seine Nachrichten reagierte usw. Auf meinen Hinweis, dass ich das Ganze gerne auf einer professionellen Ebene halten möchte, reagierte er unwirsch. Schließlich stalkte mich digital auf sämtlichen Profilen, wie er mir auch immer wieder unter die Nase rieb. Ein Austausch mit einer Kollegin, die in denselben Gruppen wie der besagte Admin und ich aktiv war, ergab, dass sie dieselben Erfahrungen mit diesem Herren gesammelt hatte. Beispiel 2:
Über Facebook schrieb mich jemand an, der in derselben Stadt wie ich lebte und als potenzieller Auftraggeber in Frage kam. Ich freute mich über die Kontaktaufnahme und schließlich trafen wir uns auch im Real Life zwecks persönlichem Kennenlernen und Akquisegespräch. Ein konkretes Projekt wurde mir nach Rücksprache zu meinen Berufserfahrungen und Top Topics bereits in Aussicht gestellt.
Das Treffen verlief durchwachsen. Mein Gesprächspartner war zwar nicht unfreundlich, aber dennoch drifteten die Themen seinerseits immer mal wieder in einen sehr persönlichen Kontext (unter anderem erzählte er mir von mehreren Frauen, mit denen er mal ein Intermezzo hatte). Ich war ein wenig alarmiert angesichts des Gesprächsverlaufs, tat es aber zunächst als Spleen dieses Mannes ab. Für mich war klar, dass ich den Kontakt klar projektbezogen halten würde. Trotz mehrmaliger Nachfrage kam zum Thema Projekt gar nichts mehr. Stattdessen bekam ich mehrmals täglich private Nachrichten von ihm: Er wollte wissen, was ich gerade tat, wo mein Partner arbeitet usw. Ich rückte den Fokus immer wieder klar auf die berufliche Ebene. Doch er ließ nicht locker: Aufs Neue fing er an, über sehr persönliche Dinge zu diskutieren und kommentierte meine Social-Media-Beiträge mit recht anzüglichen Bemerkungen innerhalb privater Nachrichten: Kleidungsstil – er könne ja mal mit mir einkaufen gehen –, ob ich ihn nicht zu einer seiner Reisen begleiten wolle und Ähnliches. Schließlich schrieb er mir mehrfach, dass er von mir geträumt hätte. Ich wäre neben seinen zahlreichen (!) „Affären“ Bestandteil seiner Träume gewesen. Beispiel 3:
Eine Kontaktanfrage über Xing. Einer netten Begrüßung und zwei Fragen zum Beruf folgte direkt: „Are you single or married? I’m divorced.“ Die Lage war also unmittelbar klar und ich schrieb meinem Gesprächspartner direkt, dass ich ausschließlich an einem beruflichen Austausch interessiert sei und dass genau dies Sinn und Zweck von einer Plattform wie Xing sei.
Daraufhin wieder zwei Sätze Geplänkel, ein dick aufgetragenes Kompliment und die Frage, ob ich schon mal eine Online Beziehung gehabt hätte. Abermals klare Ansage von mir. Auch die erneute Rückmeldung zeugte davon, dass er offenbar die Bedeutung der Worte „kein Interesse“ nicht verstehen wollte: „Maybe in a while we can be more.“ Ich antwortete, dass ich meinen Standpunkt klar gemacht habe und dass es dieses „more“ nicht geben wird. Verunsicherung als Resultat
Zunächst war ich sehr unsicher, wie ich reagieren soll. Ich bin eine Person, die immer versucht, sich in das Gegenüber einzufühlen. Außerdem gehe ich in der Regel zunächst davon aus, dass mein Gegenüber gute Absichten hat und eventuell einfach von seiner Umgebung missverstanden wird. Für die beschriebenen Konfliktsituationen bedeutet das, dass ich zunächst sehr freundlich und nachgiebig reagierte. Selbst dann, wenn für mich die Grenze zu einer angemessenen Kommunikation bereits längst überschritten war und ich tatsächlich beim Blick in Chats ein wenig Bauchschmerzen hatte.
Irgendwann war dann der Punkt erreicht, dass ich den Kontakt abgebrochen und sämtliche Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme auf ein Minimum reduziert habe. Blockierte Handynummern, blockierte Profile in den Sozialen Medien usw. Obwohl ich nun hätte erleichtert sein sollen, ist meine Gedankenwelt ordentlich Achterbahn gefahren: Habe ich überreagiert? Und noch viel schlimmer: Die Person ist ziemlich gut vernetzt – wird sich der Kontaktabbruch nun negativ auf mein Berufsleben auswirken? Ein NoGo ist und bleibt ein NoGo: selbstbewusst entgegentreten
Als mich vergangenes Jahr mal wieder eine solche „Zufallsbekanntschaft“ ereilte, berichtete ich bei einem Treffen mit Freunden davon. Sämtliche Freunde waren völlig perplex. Es fielen Begriffe wie „übergriffig“ und „dreist“. Unabhängig vom Geschlecht waren sich alle unmittelbar einig, dass ein solches Verhalten ein NoGo darstellt und ich mich auf alle Fälle wehren müsse. Das hat mir den Rücken gestärkt und ich habe mir den Rat zu Herzen genommen.
Inzwischen macht mich derartiges Verhalten einfach nur noch wütend: Die Personen, die sich so dermaßen aufdringlich zeigen, versuchten, mich in die Opferrolle zu drängen, mich klein zu halten. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Art digitale, sexuelle Belästigung. Denn „Nein heißt nein“ gilt auch in den Social Media (offenbar ist dies auch ein wichtiger Hinweis für tatsächliche Datingplattformen). Erschreckend ist jedoch, dass ein klares Nein häufig nicht akzeptiert wird. Stattdessen wird penetrant weiter versucht, ein Gespräch anzuzetteln, das abermals unter Druck setzt. Zugegebenermaßen habe ich lange gebraucht, um mein Standing hier klar zu formulieren. Ich bin aber zu dem Schluss gekommen, dass ich mir dieses übergriffige Verhalten keinesfalls gefallen lassen muss. Weder im Privaten, noch im Beruflichen. Ich kann selbstbewusst auftreten und sagen: Diese Person hat eindeutig eine Grenze überschritten und das ist nicht akzeptabel. Das neue Business as usual: Klare Grenzen
Ein Sprichwort sagt: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Aber ganz ehrlich: Das gilt für beide Seiten. Und ich werde in Zukunft nicht mehr einfach hinnehmen, wenn ein völlig fremder Mensch versucht, sich auf derart impertinente Art und Weise Aufmerksamkeit zu verschaffen. Hier greift das Thema Selbstschutz.
Business as usual bedeutet für mich nun auch: Ich freue mich auf neue Kontakte, spannenden Austausch und innovative Ideen. Wenn sich jedoch zeigt, dass die Kontaktaufnahme nur erfolgt ist, um mich auf plumpeste Art anzubaggern, ziehe ich unmittelbar und unmissverständlich eine klare Grenze. Meine Tipps:
*Selbstverständlich gilt ein derartiges Verhalten auch im privaten Kontext als völlig daneben. Da ich diese sehr krassen Erfahrungen in den vergangenen Jahren aber vorrangig im beruflichen Kontext und durch Kontaktaufnahmen über Business-Profile gesammelt habe, fokussiert sich mein Text auf genau diesen Zusammenhang.
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Autorin
Sina-Christin Wilk – freie Journalistin & Texterin mit Fokus auf Storytelling in Osnabrück
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