Gendern oder nicht Gendern? Aktuell entbrennt ganz akut die Diskussion darum, ob Texte gegendert werden sollen oder nicht. Ich selbst habe mich dazu entschieden, meinen Auftraggeber:innen (ihr ahnt es schon) diese Option anzubieten.
Mein Briefing-Dokument, das ich rausgebe, wenn ich die Eckdaten für neue Textkreationen abklopfe, enthält die Option „Gendern“. Warum ich mich dazu entschieden habe, dieses Angebot zu machen, erfahrt ihr im folgenden Text. Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied
Als erstmals die Diskussion ums Gendern in Texten anfing, war ich zunächst skeptisch. Da bin ich ganz ehrlich. Relativ schnell wurde mir aber bewusst, dass ich absolut keine Begründung für einen Vorbehalt gegen das Gendern finde. Ganz im Gegenteil. Ein oft genanntes Argument lautet, dass das generische Maskulinum alle Personengruppe einschließen würde. Sämtliche Gruppen seien „mitgemeint“.
Das wäre schön, entspricht aber nicht der Realität. Zahlreiche Studien mit Kindern und Erwachsenen haben das Gegenteil gezeigt: Oftmals beschränkt sich die Wahrnehmung auf weiße Cis-Männer. Also Männer, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen nach außen hin zugeschrieben wird. Weitere Geschlechtsidentitäten oder sexuelle Orientierungen werden nicht mitgemeint. Je nach Situation sind auch Männer betroffen von den Herausforderungen einer nicht-genderneutralen Sprache: Sobald sie beispielsweise Berufe wählen, die (bislang) vorrangig Frauen ausüben. Der Kindergärtner oder die männliche Hebamme sind nur zwei Beispiele. Fakt ist: Die Abbildung von Diversität ist eher Ausnahme als Standard in unserem derzeitigen Sprachgebrauch. Es werden verzerrte Bilder erzeugt. Das ist äußerst problematisch, da diese Sprachgewohnheit zu Diskriminierung führt. Denn Sprache beeinflusst maßgeblich unser Denken und Handeln. Eine nicht-inklusive Sprache ist für eine moderne Gesellschaft, die jedem Menschen vorbehaltslos offen gegenüberstehen sollte, ein No-Go. Gendern: minimaler Aufwand für großen Impact
Sprache eröffnet uns neue Welten und ist eines der wichtigsten Kommunikationsmittel überhaupt. Genau aus diesem Grund halte ich es für wichtig, eine gewisse Sensibilität an den Tag zu legen, wenn wir Gebrauch von dieser kulturellen Errungenschaft zu machen.
Es war also schnell klar, dass ich meinen Auftraggeber:innen ein entsprechendes Angebot mache, wenn ich einen Text verfasse: Wenn sie möchten, gendere ich ihre Texte sehr gerne. Eine entsprechende Auswahlmöglichkeit habe ich meinen Textbriefings hinzugefügt. Für mich als Journalistin und Texterin ist es eine Kleinigkeit, einige Begriffe in meinen Texten entsprechend umzuformulieren. Für jemanden, der unmittelbar davon betroffen ist, andernfalls nicht mitgemeint zu sein, kann es einen entscheidenden Unterschied machen. Wenn sich ein Text nicht ausschließlich an eine klar definierte Zielgruppe adressiert, ist also mit wenig Aufwand viel gewonnen: Die gegenderte Form schließt niemanden aus, sondern heißt alle gleichermaßen willkommen. Sprachgewohnheiten unterliegen einer ständigen Veränderung
Gerne melden sich in den Medien - vorrangig in den Social Media - Personen zu Wort, die Begriffe wie „Gender-Wahnsinn“ oder „Gender-Gaga“ verwenden. Gelegentlich wird sogar der Versuch unternommen, die Debatte durch sinnfreie Wortschöpfungen ad absurdum zu führen. Zur Begründung heißt es, Gendern führe zu einer "Verunglimpfung der Sprache“.
Ist diese Aussage zutreffend? Ich denke nein. Sicherlich ist es nicht verunglimpfend, anderen Menschen durch eine sensibilisierte Ausdrucksweise Respekt zu erweisen. Dabei kann auch schon eine neutrale Formulierung durch Sammelbegriffe völlig ausreichend sein. Als gendergerechte Formulierungen eignen sich beispielsweise folgende Begriffe:
"Stetig ist nur der Wandel"
Tatsache ist, dass unsere Sprache lebendig ist und entwickelt sich – und das nicht erst, seitdem wir (wieder) eine öffentliche Debatte über das Gendern führen.
Denkt an die Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten, die uns nicht mehr adäquat erscheinen. Oder lest einen Text, der vor mehreren Jahrzehnten verfasst wurde. Egal ob Brief, Roman oder Zeitungsartikel – ihr werdet jede Menge Ausdrücke und Formulierungen finden, die heutzutage weniger geläufig sind oder keine Verwendung mehr finden. So gibt es eine offizielle Liste der aussterbenden Wörter. Im Gegenzug nimmt der Duden neue Wörter auf. Interessant in diesem Kontext: Bereits im Mittelalter und der Renaissance wurde über geschlechtergerechte Sprache diskutiert. Gendern nimmt niemanden etwas weg
Es ist also eine Fehlannahme zu glauben, dass sich unsere Sprache nicht verändern darf. Denn das geschieht ganz automatisch. Deshalb ist die Aussage „Das hat nie jemanden gestört“ äußerst problematisch. Denn die Geschichte stellt unter Beweis, dass sich zumeist diejenigen nicht gestört fühlen, die nicht selbst betroffen sind.
Um mehr Akzeptanz hierfür zu schaffen, ist es essenziell, dass wir dies kognitive Dissonanz, die offenbar viele Menschen betrifft, auflösen. Berührungspunkte schaffen, Aufklärung betreiben. Denn Gender nimmt niemanden etwas weg und tut nicht weh. Vielmehr gibt es etwas: Es vermag den Schmerz und den Frust, nicht akzeptiert und/oder respektiert zu werden, zu nehmen. Ein mutiger Schritt zur Veränderung ist erforderlich, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, in der jeder so sein darf, wie er (wirklich) ist oder sein möchte: Praktische, nicht nur theoretische Gleichstellung für alle lautet das Ziel. Hand aufs Herz, das Klingt erstrebenswert, oder etwa nicht? Haben wir keine anderen "Probleme"?
Veränderung fällt nicht immer leicht und eine Diskussion um unseren Sprachgebrauch ist völlig legitim. Oftmals gehen die vorgebrachten - oder vorgeschobenen - Argumente bezüglich des Thema Gendern jedoch an der eigentlichen Diskussion vorbei. Sobald das Thema Gendern aufs Tableau kommt, könnt ihr sicher sein, dass folgende Frage kommt: Haben wir keine anderen Probleme?
Auf diese Frage gibt es eine simple Antwort: Doch, haben wir. Sogar jede Menge. Jedoch macht das die Diskussion um das Gendern in Texten nicht weniger wichtig. Außerdem ist es möglich, sich parallel mit mehreren Herausforderungen zu beschäftigen.
Mein Fazit: Diversität adäquat abbilden
Ich halte es für wünschenswert, dass alle „mitgemeint“ sind, aber das ist realistisch betrachtet aktuell nicht der Fall. Seien wir ehrlich, unsere Sprache ist nicht inklusiv. Von dem Ziel, Diversität als selbstverständlich zu betrachten, sind wir leider noch weit entfernt.
Solange das generische Maskulinum also nicht die gesamte Diversität unserer Gesellschaft abdeckt, befürworte und unterstütze ich das Gendern von Begriffen, die Personen umschreiben. Daher mache ich meinen Auftraggeber:innen gerne das Angebot, ihre Texte entsprechend zu formulieren. Ob sie diese Option wahrnehmen, ist allein ihre Entscheidung. Gendergerechte Sprache: Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit!
Bildmaterial:
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Autorin
Sina-Christin Wilk – freie Journalistin & Texterin mit Fokus auf Storytelling in Osnabrück
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